Wenn Schwächen zu Stärken werden
Erinnern Sie sich an die Tagesschau vom 8. Februar 2022? Vielen wird diese Sendung in Erinnerung bleiben. Allerdings nicht wegen der ausgestrahlten Nachrichten, sondern aufgrund einer Panne. Der Nachrichtensprecher hielt sich die ganze Zeit über Zettel vors Gesicht, von denen er ablas – ein ungewöhnliches Bild. Doch der Teleprompter, von dem die Moderatorinnen und Moderatoren normalerweise ablesen, war ausgefallen. Und schon war dieser Fauxpas in aller Munde und die Sendung wurde deshalb zig Mal im Nachgang aufgerufen. Hat der Patzer der ARD geschadet? Nein, ganz im Gegenteil. Der Pratfall-Effekt ist eingetreten.
Was ist der Pratfall-Effekt?
Der, bitte, was? Der Pratfall-Effekt beschreibt den positiven Sympathie-Effekt, der die Auswirkung kleiner Missgeschicke und Fehler auf die Wahrnehmung anderer Personen hat. Wer ansonsten kompetent und weitgehend fehlerfrei auftritt, der wirkt auf andere noch sympathischer, wenn ihm/ihr mal ein Patzer unterläuft. Doch warum ist das?
In unserer Gesellschaft wird nach Perfektion gestrebt. Dennoch wissen wir alle, dass niemand und nichts perfekt ist. Gerade Menschen, die makellos erscheinen, tut ein kleiner Fehler hin und wieder gut. Sie ernten dadurch Sympathiepunkte, weil Fehler sie menschlicher, authentischer, nahbarer und uns ähnlicher machen. Das schafft Vertrauen und stärkt die Bindung. Der Pratfall-Effekt zieht übrigens auch bei optischen Mängeln: Die optisch wunderschöne Marilyn Monroe hat ihn sich über Jahre mit ihrem Schönheitsfleck zu Nutzen gemacht.
Der Pratfall-Effekt im Marketing
Höher, schneller, weiter: Wenn wir an Marketing denken, treten vor allem die Vorteile und Alleinstellungsmerkmale von Produkten, Dienstleistungen und Unternehmen in den Vordergrund. Die Sache hat jedoch einen Haken – nämlich dass jede:r weiß, dass es einen Haken geben muss. Es gibt keine Vollkommenheit. In der Werbung kann deshalb der Pratfall-Effekt bewusst genutzt werden, um aus der Masse hervorzustechen und an Attraktivität zu gewinnen. Kaufentscheidungen werden schließlich zum Großteil emotional getroffen. Räumen Unternehmen sich und ihren Produkten und Dienstleistungen kleine Schwächen ein, wirkt das auf Verbraucher:innen ehrlicher und transparenter als reine Selbstbeweihräucherung.
Dabei geht es jedoch keineswegs darum, sich selbst schlecht zu reden. Vielmehr geht es darum, die Schwäche zu nutzen, um Kunden und Kundinnen zu suggerieren: Wir sind auch nur Menschen und machen Fehler. Das schafft Bindung und Vertrauen. Und das wiederum regt die Umsätze an.
Doch Vorsicht!
Nicht jede:r und nicht jedes Unternehmen profitiert vom Pratfall-Effekt. Der Schuss kann deutlich nach hinten losgehen – und zwar dann, wenn man sonst nicht als Überflieger ohne Ecken und Kanten wahrgenommen wird. Wer sonst nicht mit Kompetenz und Makellosigkeit überzeugt, für den ist ein Fauxpas einfach ein weiterer Fehler, der genau in das Bild passt, das die Menschen von ihm/ihr haben. Mit Sympathiepunkten kann dann nicht gerechnet werden. Ein Unternehmen, das häufig Negativschlagzeilen erntet, sollte also weniger seine Schwächen vermarkten, sondern an seinen Stärken feilen.
Wie kann man den Pratfall-Effekt nutzen?
- Mit Kompetenz punkten
Wie schon erwähnt: Um überhaupt vom Pratfall-Effekt profitieren zu können, ist es wichtig, ein weitgehend makelloses Außenbild zu haben, kompetent aufzutreten und einen positiven Eindruck zu hinterlassen. Nur dann kann der Effekt zu Buche schlagen. - Fehler einräumen
Welche Schwächen können Sie im Marketing einsetzen, um sympathischer aufzutreten? Oder ist Ihnen gerade ein Patzer passiert, dank dem Sie attraktiver wirken können? Tragen Sie nach außen hin Verantwortung für Fehler. Das ist ein Zeichen von Größe und lässt Sie im Ansehen steigen. - Positiv Scheitern
Wie oft hören Sie andere von ihrem Scheitern und ihren Fehlern sprechen? Kaum! Erfolge werden dagegen gern und ausführlich geteilt. Schluss damit. Gehen Sie offen mit Rückschlägen um. Schließlich lernt man nicht aus dem, was man gut gelöst hat, sondern aus den Fehlern. Indem Sie Ihre Geschichte vom Scheitern mit anderen teilen, können diese ebenfalls daraus lernen und vielleicht sogar inspiriert werden. - Lernen, Nein zu sagen
Wie oft scheitert man und weiß das eigentlich bereits im Vorfeld? Häufig liegt es daran, dass wir anderen einen Gefallen tun wollen, nicht Nein sagen können und uns zu weit aus dem Fenster lehnen. Wenn Sie absehen können, dass Sie etwas nicht können oder nicht schaffen, dann sagen Sie öfter einmal Nein. So eine Absage zeigt, dass man keine eierlegende Wollmilchsau, sondern sich seiner Grenzen durchaus bewusst ist. - Druck rausnehmen
Häufig glauben wir, dass wir perfekt sein müssen, um bei anderen gut anzukommen. Das Unternehmensimage muss vollkommen unbefleckt sein. Alle Produktideen müssen bei dem/der Verbraucher:in ankommen. Dieser Gedanke setzt uns unnötig unter Druck. Wie Sie vermutlich an sich selbst beobachten können: Wir mögen das Perfekte gar nicht, denn daneben fühlen wir uns oft minderwertig. Machen Sie sich weniger Kopf darüber, was andere von Ihnen denken, dann können Sie viel entspannter an die Sache rangehen.
Noch ein letzter Hinweis zum Abschluss: Machen Sie sich bewusst, dass der Pratfall-Effekt nur dann wirkt, wenn der Makel die Ausnahme bleibt – so wie in der Tagesschau vom 8. Februar 2022. Wer zu oft scheitert, verliert sein perfektes Image. Die Dosis macht das Gift!